Informationen vom Donnerstag 09.09.2010

 

Keine Zeit für die Flutopfer - Über einen enttäuschenden Besuch


Gestern hat Stanislaw Tillich viele Sympathien in Zittau verspielt. Mit Buh-Rufen, Pfiffen und nur sehr vereinzeltem Beifall begrüßten ihn die Hochwasseropfer. Doch schon nach der Begrüßung war für sie klar: Er bringt ihnen nicht die Botschaft, auf die sie so warten. Stattdessen schenkt er ihnen acht Minuten Zeit für ein paar Sätze, die die Hochwasseropfer noch wütender macht, als sie eh schon sind. Fast fünf Wochen nach der Katastrophe von Soforthilfe zu sprechen, die wenn sie endlich ausgezahlt wird, eh nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, verhöhnt die Leidtragenden.
Wenn er ihnen gestern schon nicht mehr Geld versprechen konnte, so hätte er ihnen wenigstens das Gefühl geben könne, dass er ihnen zuhört, extra für sie nach Zittau kam. Auch wenn im Anschluss eine Gesprächsrunde mit den Oberbürgermeistern und Bürgermeistern der Hochwassergebiete anstand, die Zeit hätte er sich nehmen müssen. So fühlen sich die Leute noch mehr im Stich gelassen. Hochwassers in Existenznot geraten soll.


So wird die Soforthilfe an Flutopfer verteilt

Gestern Mittag saß Zittaus Oberbürgermeister Arnd Voigt für eine Stunde an der Kasse des Zittauer dm-Marktes und kassierte die Kunden ab, hier Roswitha Lehmann aus Friedersdorf (li.). Unterstützung erhielt er von der Filialleiterin Eva Noack (re.). Dahinter steckt eine Aktion, bei der in dieser Woche Geld für Hochwasseropfer gesammelt wurde. Dazu hatte die Drogeriekette auch die Oberbürgermeister von Görlitz und Bautzen zum Kassieren an die Kasse gebeten. OB Voigt hat 1225Euro eingenommen, die dm auf 3000 Euro aufstockte

Wie hoch ist die Fluthilfe?
Fünf Millionen Euro stellt das Land Sachsen aus Steuermitteln bereit. Die Kommunen mussten in den ersten Tagen nach dem Hochwasser vom 7. August an die Landesregierung melden, wie viele Wohneinheiten bei ihnen im Ort zeitweise und gar nicht mehr bewohnbar sind.
Die fünf Millionen Euro wurden durch die gemeldeten Schadensfälle geteilt. Das ergab rund 432Euro je betroffener Wohneinheit. Für 107 Schadensmeldungen aus Zittau bekommt die Stadt somit 46240,28 Euro Soforthilfe vom Freistaat, alle Städte und Gemeinden im Landkreis insgesamt 1316767,50 Euro. Die gleiche Summe erhält auch der Landkreis vom Freistaat, die er als Soforthilfe verwenden soll. Über eine Million Euro werden außerdem an Flutopfer aus dem Spendentopf der Sparkassenstiftung verteilt. Diese Summe ist allerdings nicht nur für den Kreis Görlitz, sondern auch für Bautzen bestimmt. Jede Kommune für sich vergibt zudem die Spendengelder, die bei ihr eingingen.

Nach welchen Kriterien wird das Geld an wen verteilt?
Hierfür gibt es von der Landesregierung Vorgaben. So dient das Geld in Einzelfällen zur Linderung von Not, insbesondere für Flutopfer, die keine Leistungen aus anderen Hilfsprogrammen beziehungsweise Versicherungen erhalten. Außerdem soll das Geld zur Müllberäumung, zum Beseitigen von Schlamm und Instandsetzen von wichtigen, durch die Flut beschädigten Einrichtungen verwendet werden. Am 1. September hat der Runde Tisch des Landkreises über erste Anträge von Flutopfern beraten und entschieden. Für die Vergabe der Spendengelder gelten diese Kriterien nicht. Die Spenden können auch an Hochwasseropfer vergeben werden, die Versicherungsleistungen oder andere Hilfe erhalten.

Wer zählt als Härtefall mit besonderer Berücksichtung?
Das wird in den Vergabegremien – meist sind es Sozialausschüsse oder „runde Tische“ wie beim Landratsamt – in den Städten und Gemeinden individuell entschieden.

Wann wird das Geld ausgezahlt?
Das ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Bis spätestens 14. September haben die Kommunen entschieden, wer wieviel Geld von ihrer Soforthilfe erhält. Die von ihnen ausgewählten Flutopfer reichen sie auch als Vorschläge beim „Runden Tisch“ des Landkreises Görlitz ein. Dieser entscheidet am 15. September anhand der Bewertungs- und Entscheidungsvorschläge aus den Kommunen, ob er die Hilfe für den Geschädigten verdoppelt. „Wir werden diese Härtefälle zügig entscheiden, damit die Bürger zu ihrer so dringend benötigten Unterstützung kommen“, versprach gestern Landrat Bernd Lange. Bei der Vergabe von Spendengeldern will sich das Gremium an den Richtlinien für die Soforthilfegelder orientieren. Bei Hilfen aus Spendenmitteln können nach Aussage von Bernd Lange schon Schäden von unter 5000 Euro berücksichtigt werden. Anlaufpunkt für Antragsteller ist auf jeden Fall die jeweilige Kommune. Danach soll das Geld sofort überwiesen werden. Einige Gemeinden, wie Eibau, haben aber bereits ihre Soforthilfe an Flutopfer ausgezahlt.


 
Das wenige Geld schnell verteilen - Über die Verteilung der Soforthilfe

Soforthilfe kann man das Geld jetzt nicht mehr nennen, über das nun in der nächsten Woche in den Städten, Gemeinden und am „Runden Tisch“ im Landkreis entschieden werden soll. Das einzig Gute für die vom Hochwasser Geschädigten ist wohl, dass sie endlich Geld bekommen. Wenn es für sie auch nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Letztendlich werden weder die, die Geld erhalten, noch die, die darüber entscheiden sollen, glücklich sein. Die einen bekommen gar nichts, die anderen viel zu wenig. Im Wissen um diese Tatsache hat die Landesregierung die Vergabe der Gelder den Kommunen überlassen. Sie haben den „Schwarzen Peter“ in der Hand. Sie werden sich anhören müssen, warum Meier Geld bekam und Lehmann nicht. Damit werden die Verwaltungen in den nächsten Wochen noch reichlich zu tun bekommen. Helfen wird es niemandem. Denn mehr Geld hat der Freistaat für die Hochwasseropfer an Neiße und Mandau nicht übrig.

 

Unternehmer fordern sofortige Hilfe

Der Görlitzer CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer erwartet in den nächsten Tagen viele E-Mails. Und zwar von den von der Flut betroffenen Handwerkern und Gewerbetreibenden mit ihrem Namen, Adresse und der Erreichbarkeit. „Ich möchte nicht, dass Unternehmen unter- und damit Arbeitsplätze verlorengehen und werde mich für sie einsetzen“, sagte er am Dienstagabend im Ostritzer Krug.

Dort waren rund 30 Betroffene aus der Stadt zusammengekommen, um gemeinsam klare Forderungen an die Politik zu stellen. Mit dem Bundestagsmitglied und Generalsekretär der Sächsischen Union hatten sie sich „jemanden mit einer gewissen Kompetenz eingeladen“. Denn: „Wenn nicht bald und unkompliziert finanzielle Hilfe kommt, können wir den Betrieb nicht mehr halten“, bringt es Bäckermeister Jörg Geißler für alle auf den Punkt.

Kleinere Unternehmen erhalten Zuschüsse
Michael Kretschmer kam auch mit einer brandneuen Entscheidung zur Unterstützung von Handwerkern, Gewerbetreibenden, Gastronomen aus Dresden. Der Ministerpräsident habe angeordnet, dass unter Leitung des Wirtschaftsministeriums gemeinsam mit Vertretern des Finanz- und des Innenministeriums eine Arbeitsgruppe gebildet wird. Sie soll über Zuschüsse für Härtefälle befinden. Voraussetzung ist, dass ein Antrag bei der Sächsischen Aufbaubank (SAB) gestellt wird. Kretschmer möchte, dass die Unternehmen in eine schnelle Überprüfung für einen Zuschuss mit individueller Beratung kommen. Er werde den SAB-Vorstand schriftlich davon unterrichten, dass er sich persönlich dafür einsetzt. „Bitte geben Sie mir auch eine Rückmeldung, ob es klappt oder nicht“, forderte er die Anwesenden auf. Denn die SAB habe bisher immer gesagt, es laufe alles gut und gebe keine Probleme. Aber einige der Anwesenden waren sehr enttäuscht von der bisherigen Beratung und „Bürokratie ohne Ende“, wie Carmen Ebermann von der Tischlerei Ebermann sagte.

"Wir haben einen Gesamtschaden von rund 380000 Euro. In den letzten vier Wochen sind durch das ganze Dilemma noch etwa 20 000 Euro aufgelaufen. Dreimal mussten wir immer wieder ein neues Formular für den Kreditantrag bei der SAB ausfüllen. Wenn er jetzt nicht zügig bearbeitet wird, ist Feierabend" berichten Carmen und Peter Ebermann von der Tischlerei "Ebermann"
„Wir hatten Glück im Unglück durch unsere Finanzberaterin. Haben gleich und mit kompletten Unterlagen einen Kreditantrag bei der SAB eingereicht.“ Doch mittlerweile mussten Ebermanns zum dritten Mal ein Antragsformular ausfüllen. „Die Regierung sollte aus der August-Flut 2010 lernen und für solche Ereignisse in Zukunft gleich einen Krisenplan haben“, so die Tischlersfrau.

Versicherungsbedingungen sollten geändert werden
„Selbst wenn wir uns jetzt wieder auf die Füße stellen – egal wie – wer sagt uns, was beim nächsten Hochwasser wird?“, bemerkte jemand aus der Runde. „Wir können doch nichts dafür, dass wir keine Versicherung für Hochwasserschäden bekommen“, sagte Steinmetzmeister Hans-Joachim Herbig, der derzeit in einem Wohnwagen lebt. „Der Staat billigt die Versicherungsbedingungen, da muss er auch für die Schäden geradestehen, und nicht durch Kredite.“

Da immer mehr mit solchen extremen Wettersituationen zu rechnen sei, müsste eine Versicherung für solche Katastrophen her oder die Bedingungen für Elementarversicherungen aktualisiert werden“, regte Ina Kerkhoff vom „Eisgarten Hellwig“ an.

 

Unser Redaktionstagebuch
Der Kommentar zur Ohnmacht der Mächtigen


Das wird ein heißer Tag - als wir uns mit der Kamera auf dem Weg nach Zittau machen, ahnen wir nur, dass es ein besonderer Nachmittag werden könnte: Der sächsische Ministerpräsident hat sich angekündigt und die Hochwasseropfer wollen demonstrieren.
 
Aufwärmprogramm für den MP bei der Industrie- und Handelskammer: Er soll ein Grußwort sprechen - hier punktet der geschmeidige Erfolgspolitiker - die Sicherheitskräfte reagieren aber spürbar gereizt - wir wollen unsere Kameratasche vor dem Eingang postieren: "Hier bleibt die nicht stehen..." - mein Kameramann wirkt genervt: "Dann nehme ich sie mit in den Tagungsraum..." - die Sicherheit dreht auf: "Das geht ja gleich gar nicht..." - ich schalte mich ein und sage dem angespannten Beamten, dass ich mich um die Tasche kümmere... - vor der Damentoilette darf ich Sie abstellen. Wirtschaftstreffen sind eben meist reine Männerveranstaltungen... - da wird sich die Gefahr an diesem Ort wohl auch in Grenzen halten.

Wir fahren zum Marktplatz - dort wollen sich gegen 17.00 Uhr die Demonstranten versammeln - wir hatten mit mehr Teilnehmern gerechnet, vielleicht auch darauf gehofft - o.k. die ca. 200 Demonstranten veranstalten trotzdem ein gewaltiges Pfeifkonzert als Tillich zu ihnen sprechen will - immerhin, er will zu Ihnen sprechen - doch seine Botschaft bleibt blass, bürokratisch - ohne Emotionen. Der Volkszorn ist gewaltig...- Tillich scheint ihm nicht gewachsen zu sein. Als der Druck zu groß wird, tritt er ab...!
Bis dahin hatte Tillich alles richtig gemacht, er sprach mit den Verfassern eines offenen Briefes aus Großschönau, er ging zu den Demonstranten und scheute nicht die Auseinandersetzung, aber als er einfach nur zuhören sollte, die Menschen ernst nehmen, da trat er ab - ein kapitaler PR-Fehler, von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet.

Und er hat den Platz anderen überlassen, z.B. der NPD-Stadträtin Hiekisch, die populistisch ihre Forderungen in das Mikrofon schrie - ein überforderter Moderator überschüttete die Stadträtin mit Lob - entweder er wußte nicht, wer da gerade zu den Demonstranten sprach oder es war wohlfein einkalkuliert - ich bin mir nicht sicher, was schlimmer ist.
Die NPD scheint wohl kalkuliert aus der Not der Leute ihr Kapital zu schlagen: In einer Oberlausitzer Kleingemeinde rückte jüngst ein Kleinbus aus Leipzig mit wohlgenährten Männern an, die einen ganz Tag in einer Firma anpackten und bei der Beseitigung der schlimmsten Schäden halfen, wortlos bis zum Schluß - am Ende gab`s das obligatorische NPD-Flugblatt - die Firma war dankbar und zweifelte an allem bisher Gedachten.

Das Augusthochwasser ist keine nationale Katastrophe - aber eine Regionale - die Staatskrise, die jetzt, folgt ist keine Nationale, aber eine Regionale. Menschen in unserer Region haben alles verloren, auch den Glauben an den Freistaat - jegliches Vertrauen ist mit der Flut weggespült worden.

Und dann fällt mir nur noch ein Liedtext des deutschen Liedermachers Konstantin Wecker ein: "Freunde rücken wir zusammen, denn es zügeln schon die Flammen und die Dummheit macht sich wieder einmal breit. Lasst uns miteinander reden und umarmen wir jetzt jeden, der uns braucht in dieser bitterkalten Zeit."

Seid umarmt.

Quelle: www.oberlausitztv.de