Informationen und erste Bilanzen  –  Montag 06.09.2010

 

Sachsen schätzt Flutschäden auf 800 Millionen Euro

Die sächsische Landesregierung schätzt bislang, dass das Hochwasser im August Schäden in Höhe von 800 Millionen Euro verursacht hat. Die Soforthilfe beläuft sich hingegen auf fünf Millionen Euro. Und dabei wird es auch bleiben, betonte Innenminister Ulbrig bei einem Treffen mit den Bürgermeistern betroffener Kommunen. Die sind mit dieser Summe weiter unzufrieden.

 

Das jüngste Hochwasser in Sachsen hat nach ersten Regierungsschätzungen Schäden von rund 800 Millionen Euro verursacht. Diese Summe nannte Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Mittwoch in Dresden bei einem Treffen mit Bürgermeistern und Landräten der vom Hochwasser betroffenen Kommunen. Dennoch wird das Land seine Soforthilfe von fünf Millionen Euro nicht aufstocken. Innenminister Ulbrig sagte, es sei unangebracht, jetzt schon zu sagen, dass das Geld nicht reiche, "obwohl in vielen Fällen noch nicht ein Euro ausgezahlt ist". Viele der am Treffen beteiligten Kommunen hatten zuvor kritisiert, dass die Soforthilfe für Härtefälle nicht ausreiche.

Bürgermeister fordern Nachschlag
Der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulik (parteilos) zeigte sich vom Ergebnis des Treffens "enttäuscht". Die zugesagte Soforthilfe sei "viel, viel zu wenig". Dem MDR sagte Paulick, noch immer seien zahlreiche Fragen offen. So sei weiter unklar, wer die Soforthilfe erhalten kann. Ebenso gebe es noch immer keine Definition, wer ein sogenannter Schwerstbetroffener des Hochwassers vom August sei. Genau an diese Gruppe solle aber die Soforthilfe verteilt werden.

Ursprünglich Treffen mit Tillich gefordert
Paulick schätzt die Schäden in Privathaushalten allein für das Stadtgebiet Görlitz auf mehr als 40 Millionen Euro. Aus dem Soforthilfepaket des Landes soll die Stadt 540.000 Euro erhalten. Es könne nicht sein, dass die ohnehin klammen Kommunen bis zu 50 Prozent für die Bewältigung der Schäden nach dem Hochwasser zahlen müssten, sagte Paulick. Die Bürgermeister der betroffenen Kommunen hatten ursprünglich ein Gespräch mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich gefordert - an diesem halten sie trotz des heutigen Treffens mit Innenminister Ulbrig weiter fest.
Der Innenminister hatte am Mittwoch den Gemeindevertretern 16 Förderrichtlinien vorgestellt, die Zuschüsse, Darlehen und das Soforthilfeprogramm betreffen. Auch teilte das Innenministerium mit, die Landräte der Landkreise Bautzen, Görlitz und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge - alle CDU-Mitglieder - seien mit den Förderrichtlinien des Freistaates zufrieden.

Landkreis Görlitz legt Schadensbilanz vor
Unterdessen legte am Mittwoch auch der Görlitzer Landrat Bernd Lange eine erste Schadensbilanz vor. Danach sind durch die Flut im Landkreis Görlitz Schäden von rund 425 Millionen Euro enstanden. In der Summe seien noch nicht einmal die Schäden auf der Bahnlinie zwischen Görlitz und Zittau berechnet. Lange forderte den Bund auf, sich mit Vetretern der Bahn und des Freitstaats so schnell wie möglich an einen Tisch zu setzen, damit die Verbindung im kommenden Jahr wieder in Betrieb gehen kann.
Laut Lange wurden durch die Flut vor allem Strassen, Brücken sowie Trinkwasser- sowie Abwasseranlagen beschädigt oder zerstört. Betroffen seien vor allem die Gemeinden Bertsdorf-Hörnitz, Waltersdorf und Großschönau. In privaten Haushalten belaufe sich der Schaden auf 126 Millionen Euro, bei Firmen auf rund 70 Millionen Euro. Der Rest verteile sich auf öffentliche Einrichtungen.

Mittel aus Flutfonds von 2002?
Die Kritiker der Hilfsmaßnahmen verlangen unterdessen, Mittel aus dem Fonds für Opfer der Jahrhundertflut 2002 bereitzustellen. Dieser Forderung hat sich am Mittwoch auch die sächsische SPD angeschlossen. Die Staatsregierung verwies darauf, dass sie nicht alleine über diese Gelder verfügen könne und die Mittel ortsgebunden seien. Görlitz etwa sei damals nicht betroffen gewesen und hätte demnach keinen Anspruch auf Hilfe aus diesem Topf. OB Paulick will dennoch seine Forderungen nach mehr Hilfe vom Freistaat aufrecht erhalten. Das sei er den Flutopfern schuldig. Für viele sei ein Darlehen keine Lösung. Sie seien in ihrer Existenz bedroht und benötigten unbürokratische Soforthilfe.


Tillich fordert mehr Eigenvorsorge vor Naturkatastrophen

Über die Hilfe für die Opfer des Hochwassers bleiben die politischen Lager in Sachsen uneinig. Während die Opposition auf deutlich mehr Geld vom Staat pocht, sieht die Landesregierung die Bürger in der Verantwortung. Ministerpräsident Stanislaw Tillich rief die Sachsen zu mehr Vorsorge gegen Unwetterschäden auf. In einer Regierungserklärung vor dem Landtag sagte Tillich, das Land müsse sich künftig auf mehr Wetterkapriolen wie Sturm, Starkregen, Hochwasser oder Dürre einstellen. Dies erfordere, dass sowohl Privatleute als auch Unternehmen und Kommunen sich ausreichend versicherten. "Deshalb steht auch jetzt wie 2002 und bei vergleichbaren Ereignissen an erster Stelle die Frage nach der Eigenvorsorge, nicht die nach staatlicher Hilfe", sagte Tillich.

Keine weiteren Zusagen
Tillich kritisierte insbesondere vom Hochwasser 2010 betroffene Kommunen ohne ausreichenden Versicherungsschutz. "Keine Versicherung für öffentliches Eigentum abzuschließen, ist nahezu unverantwortlich, wenn die Gemeinde nicht in der Lage ist, den entstandenen Schaden selbst zu schultern." Mehr finanzielle Hilfen für die Betroffenen kündigte Tillich nicht an. Bei der diesjährigen Flut habe es sich, im Gegensatz zur Jahrhundertflut 2002, nicht um eine nationale Katastrophe gehandelt, sagte er. Er hob stattdessen nochmals das Hilfsprogramm der Landesregierung hervor, das neben fünf Millionen Euro Soforthilfe zinsvergünstigte Darlehen und geänderte Förderprogramme umfasst. Tillich sicherte allen Betroffenen umfangreiche Hilfe zu. Genaueres sagte er nicht.

Acht-Punkte-Programm für besseren Hochwasserschutz
Für den künftigen Hochwasserschutz präsentierte der Regierungschef ein Acht-Punkte-Programm. In diesem ist unter anderem festgelegt, dass die Meldesystem überprüft werden, die Zusammenarbeit mit den polnischen und tschechischen Behörden ausgebaut und eine gemeinsame Hochwasserschutzstrategie für die Lausitzer Neiße entwickelt wird und dass solche Großeinsätze künftig einmal im Jahr trainiert werden. Tillich kündigte außerdem einen Versicherungsgipfel an. Bei diesem solle ausgelotet werden, wo eine bessere Absicherung möglich ist.

Grüne fordern naturnahen Hochwasserschutz
In der anschließenden Landtagsdebatte warfen die Grünen Tillich Ratlosigkeit vor. Fraktionschefin Antje Hermenau sagte: "Es ist einfach frech, demokratisch vorgebrachte Vorschläge anderer, wie zum Beispiel den zur Eigenvorsorge, mit lächelnder Chuzpe als eigenen auszugeben." Sie kritisierte die Schuldzuweisung zwischen kommunalen und Landesbehörden und forderte stattdessen Maßnahmen, die den Menschen künftig ein solches Leid ersparen. Hermenau brachte unter anderem die Idee eines sächsischen Hochwasserschutzfonds, mehr Sirenen und Rückhalteflächen ins Spiel.
Außerdem mahnte Hermenau eine bessere Klimapolitik an. Der Klimawandel sei nicht "Gottes Wille", sondern das Ergebnis veränderter Lebensbedingungen, sagte die Grünen-Politikerin. Notwendig seien nicht nur technische Maßnahmen, sondern auch ein naturnaher Hochwasserschutz.

SPD und Linke fordern 100 Millionen Euro Hilfe
Auch Linke und SPD kritisierten die Haltung der Landesregierung gegenüber den Betroffenen des Hochwassers. SPD-Fraktionschef Martin Dulig sagte, die fünf Millionen Euro seien lächerlich angesichts der geschätzten Schäden in Höhe von 800 Millionen Euro. Linke-Fraktionschef André Hahn forderte zusätzliche Mittel von mindestens 100 Millionen Euro zur Schadensbeseitigung. Hahn verlangte zudem, dass sich Sachsen im Bundesrat für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden stark macht.

"Wenn es um Gerechtigkeit geht, dann muss den jetzt vom Hochwasser Betroffenen in vergleichbarer Weise geholfen werden wie bei der Flut vor acht Jahren, auch wenn diesmal keine Wahlen vor der Tür stehen." -André Hahn, Chef der Linksfraktion
 

Enttäuschung bei Görlitzer Oberbürgermeister
Der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick ist enttäuscht. Er sagte, er wisse nicht, was er den Betroffenen zu Hause sagen soll. "Die Botschaft heute lautet, es gibt keine weiteren Hilfen mehr." Darauf aber warteten die Flutopfer. Die Betroffenen brauchten Bares, das nicht zurückgezahlt werden muss: "5.000 Euro pro Haushalt oder Unternehmen." Der parteilose Paulick fordert gemeinsam mit Stadtchefs aus anderen Kommunen seit der Naturkatastrophe mehr Soforthilfe vom Freistaat. Ministerpräsident Tillich lehnt ein Gespräch mit den Kritikern der Fluthilfe bisher ab. Paulick hofft unterdessen weiter, dass Tillich sich in Görlitz ein Bild von den Hochwasserschäden macht


Fast zehn Millionen Euro Schaden im Kloster Ostritz

 

Das vom Hochwasser der Neiße überschwemmte Kloster St. Marienthal in Ostritz wird mit der Beseitigung der Schäden voraussichtlich bis 2013 beschäftigt sein. Schwester Elisabeth Vaterodt vom Klostervorstand sagte, rund sieben Millionen Euro müssten investiert werden. Hinzu kämen etwa 2,9 Millionen Euro Kosten für Schäden, die an Gebäuden und Technik des Internationalen Begegnungszentrums auf dem Klostergelände entstanden seien. Nach Angaben von Stiftungsdirektor Michael Schlitt rechnet das Kloster mit Einnahmeausfällen von rund 600.000 Euro.

Schwerstes Hochwasser in der Klostergeschichte

Die 1234 gegründete Zisterzienserinnenabtei hat nach Schlitts Angaben das schlimmste Hochwasser aller Zeiten erlebt. Etwa zwei Meter hoch habe das Wasser in der Klosterkirche gestanden und damit rund 20 Zentimeter höher als bei der letzten großen Überschwemmung 1897. Bis auf das Beamtenhaus habe die Flut alle Gebäude im Gelände getroffen. Etwa 250.000 Euro müsse das Kloster sofort investieren, um den wirtschaftlichen Betrieb schnell wieder aufzunehmen. Dazu gehöre die Küche, die Wäscherei und die Bäckerei. Das Ausmaß der Schäden in der Kirche werde derzeit mit Experten der Denkmalschutzbehörde analysiert.
 

Gästebetreuung nur eingeschränkt möglich

Der Gästebetrieb im Kloster konnte in der vergangenen Woche wieder aufgenommen werden. Ein Teil der rund 200 Übernachtungs-Möglichkeiten kann jedoch noch immer nicht wieder an Besucher vermietet werden. Die Arbeit der Stiftung läuft ebenfalls nur eingeschränkt, da sämtliche Arbeitsplätze im Erdgeschoss dem Hochwasser zum Opfer fielen.

In St. Marienthal leben 14 Schwestern und eine Novizin im Alter zwischen 25 und 87 Jahren. Das seit 1992 bestehende Begegnungszentrum hatte die Wirtschaftsgebäude des Klosters übernommen und inzwischen größtenteils saniert.